14/05/13 Drei Tage geballte Realität – Bericht eines Aktionsurlaubers

von Daniel Lentfer

KneipentourVon Mittwoch bis Samstag war ich im Aktionscamp vom Berliner Energietisch. Eine gute Gelegenheit interessante Menschen kennenzulernen, was Gutes zu tun und sein eigenes Weltbild zu hinterfragen.

'Alter, mach mal unsere Sprache: Wird Strom billiger?' sagte der Man auf der Parkbank. Das war am Leopoldplatz, wo im Park auch um 13:00 schon einiges an Promille unter den Anwesenden verteilt war. Soviel Realität bin ich in meinem Alltag nicht wirklich gewohnt. Ich lebe (wie die meisten) ein meiner Blase. Meine Nachrichten drehen sich um politische (Netz-)Themen und werden in meiner Twitter-Blase und Pressespiegeln zusammen gefügt. Eine Scheinrealität, die nicht soviel mit der Realität zu tun hat, das war mir klar. Gleiches gilt auch für mein sonstiges Leben. Nach zwei Jahren Wohnen auf Hamburg-St. Pauli hat man sich an das tägliche Elend so sehr gewöhnt, dass man vieles automatisch ausblendet.

Wenn man Unterschriften sammelt, dann spricht man viele Menschen an. Wenn man viele Unterschriften sammelt, dann spricht man alle, die einem über den Weg laufen. Der Berliner Energietisch muss 200.000 Unterschriften fürs Volksbegehren sammeln. Da darf man nicht wählerisch sein.

Ich halte mich für einen reflektierten, aufgeklärten Menschen, der sich seiner Vorurteile bewusst ist und versucht, sie in seinem täglichen Handeln nicht zum Tragen kommen zu lassen. Da in einem Volksbegehren nur Wahlberechtigte unterschreiben dürfen, gibt es formal drei Kriterien: In Berlin gemeldet, volljährig und deutsch. Das erste kann ich gut akzeptieren. Wenn es eine Entscheidung für Berlin ist, dann sollen sie auch darüber entscheiden.


Beim Mindestalter sieht das schon anders aus. Klar, erlebt man viele Menschen unter 18-jährige, die das Ganze nicht interessiert, und die froh sind, dass ihnen diese Ausrede erhalten bleibt. Ihnen wird schließlich auch erklärt, dass sie das noch nichts angeht. Umso besser konnte ich aber eine Gruppe Jugendlicher verstehen, die ich im Humboldthain traf. Es war sogenannter Herrentag. Das ließen sich die Vier nicht entgehen, sie tranken Moscow-Mule und rauchten. Als ich auf sie zu kam, haben zwei mir interessiert zugehört, die andern beiden wussten schon gut Bescheid und ergänzten mich. Erst relativ spät sprach ich, wie immer, kurz an das nur Wahlberechtigte unterschreiben dürfen. Ziemlich enttäuscht nahmen sie alle einen Flyer und versprachen selber zu sammeln. Ich konnte mich gut in sie hinein versetzen. Wie viele Wahlberechtigte gibt es schließlich, die sich deutlich weniger interessieren, aber für sie mit entscheiden.


Das größte Problem ist und bleibt die knallharte Diskriminierung gegen alle die keinen deutschen Pass haben. Erschreckt hat mich, wie schnell ich diese Diskriminierung antizipiert habe und nach dem Aussehen unterschied, wen man anspricht - und wen nicht. Das Ziel ist schließlich möglichst viele Unterschriften zu sammeln. Ich musste mir dies immer wieder deutlich machen, wie oft haben mir Menschen mit Kopftuch im besten Deutsch geantwortet und hätten gerne unterschrieben. Warum sollten Sie das auch nicht? Doch auch hier gab es, neben der üblichen Quote an Uninteressierten viel Frustration. Ein etwa Fünfzig-Jähriger guckte mich etwas entgeistert an, als ich ihn angesprochen habe. 'Wir sind Menschen zweiter Klasse, wir dürfen arbeiten und Steuern zahlen, aber mitbestimmen, das dürfen wir nicht.' Da kommen einem Plakate auf denen 'Du bist Deutschland' steht noch etwas bescheuerter vor.


Doch auch sozial erlebt man viel Elend, dass man in seinem Alltag ausblendet. Auch hier wurde ich mal wieder erinnert, wie beschränkt manch ein Vorurteil ist. Klar, gibt es auch hier Desinteresse und vor allem viele Menschen, die die Hoffnung aufgegeben haben. Es interessiert Sie nicht, wie Strom erzeugt wird, aber als sie hörten, dass wir uns auch gegen das Abschalten von Strom wenden, wussten einige - deutlich besser als ich  -, worum es geht.


Ich habe einige Unterschriften gesammelt und hoffe, damit meinen Teil zum Gelingen des Volksbegehrens beigetragen zu haben. Doch auch wenn die Energienetze wieder in öffentlicher Hand sind, bleibt viel zu tun.